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Christopher Isherwood: Begegnung am Fluss

Buchempfehlung des Deutschlandfunks vom 14.11.2022

Zwei feindliche Brüder, die sich innig lieben: „Begegnung am Fluss“ von Christopher Isherwood ist ein kraftvoll emanzipatorischer Roman über eine zerrissene Familie, Sinnsuche im mönchischen Verzicht und sexuelle Freiheit.

„Lieber Patrick…“

Oliver schreibt an seinen Bruder. Er hat eine Entscheidung getroffen, die sein Leben verändern wird:

„Mutter hat noch immer den Eindruck (…), dass ich mich hier in Kalkutta aufhalte, um für das Rote Kreuz zu arbeiten, wie bis vor einem Jahr in Deutschland. Aber dem ist nicht so. Ich befinde mich in einem hinduistischen Kloster ein paar Meilen außerhalb der
Stadt, am Ufer des Ganges. Will sagen, ich bin hier als Mönch.“

Patrick setzt sich sofort ins Flugzeug, um seinen Bruder vom endgültigen Ablegen der Gelübde abzuhalten. Von Los Angeles reist er über Hongkong nach Indien. Der Roman spielt zwischen verschiedenen Kontinenten und Städten. Aufgewachsen in England, ist Patrick Filmproduzent in Kalifornien. Oliver hat lange in München gelebt. Doch nun will er sich der Welt entziehen. Er glaubt, den richtigen Weg gefunden zu haben.

„Begegnung am Fluss“ atmet ein Gefühl von Unabhängigkeit, Aufbruch, Libertinage. Ähnlich wie in seinem erfolgreich verfilmtem Roman „A Single Man“ stellt Isherwood das Leben als homo- oder bisexueller Mann hier nicht als Problem dar, sondern als freie Entscheidung, als selbstverständlich und lustvoll.
Der ständig im Flieger sitzende Patrick ist in der Welt zu Hause wie andere in ihrem Stadtviertel – und so ist ein erfrischend kosmopolitisches Buch entstanden, in dem man den unkonventionellen Geist wiederfindet, der Isherwoods Werk insgesamt prägt.

https://www.deutschlandfunk.de/begegnung-am-fluss-100.html